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Die Tage des Titlisgletschers sind gezählt – so bereiten sich die Bergbahnen auf die eislose Zeit vor

Wenig Schnee im Winter und ein heisser Sommer: Ein Glaziologe erwartet dieses Jahr eine Rekordschmelze der Schweizer Gletscher. Davon bleibt auch der Titlisgletscher nicht verschont. Bei den Titlis Bergbahnen ist man sich bewusst, dass man schon bald um eine Attraktion ärmer sein wird.

Wie lange gibt es den Titlisgletscher noch? Und was kann man den Gästen stattdessen bieten, damit sie auch ohne die beeindruckenden Eismassen einen Grund haben, den Titlis zu besuchen?

Mit diesen Fragen müssen sich die Titlis Bergbahnen beschäftigen. Denn der Gletscher wird immer kleiner. Die heissen Temperaturen, die momentan herrschen, beschleunigen den Prozess zusätzlich. Während die rund zehn Grad auf dem Titlis von Touristen als angenehm kühl wahrgenommen werden, lassen sie Eis und Schnee zu Wasser werden.

Glaziologe: «20 Jahre sind realistisch»

Seit Jahren setzt sich Andreas Bauder, Glaziologe an der ETH Zürich, mit dem Schwinden der Schweizer Gletscher auseinander. Er geht davon aus, dass Gletscher wie der Titlisgletscher in den nächsten Jahrzehnten verschwinden. Rund 20 Jahre seien realistisch, sagt er. Wobei es schwierig sei, festzumachen, wann ein Gletscher komplett verschwunden ist.

Glaziologe Andreas Bauder
Glaziologe Andreas Bauder. Bild: René Fuchs

«Die Gletscher zerfallen in Einzelteile und sind irgendwann nicht mehr sichtbar», so Bauder. Doch unter dem Schutt bestehe das Eis oft noch länger. Der Schutt würde das Eis schützen – ähnlich wie es die Vliesabdeckungen auf dem Titlis tun.

Das Schweizerische Gletschermessnetz dokumentiert und beobachtet systematisch die langfristigen Gletscherveränderungen in den Schweizer Alpen. Der Titlisgletscher gehört nicht zu den Gletschern, die jährlich untersucht werden. Warum dies so ist, weiss Andreas Bauder auch nicht genau.

Begonnen hat man mit den Aufzeichnungen Ende des 19. Jahrhunderts. Damals hat man sich dafür entschieden, den Firnalpeligletscher und dessen östlichen Teil, den Firnalpelifirn, die wenige hundert Meter östlich des Titlisgletschers liegen, genauer unter die Lupe zu nehmen.

Seit 2018 wird keiner der Gletscher am Titlis vom Schweizerischen Gletschermessnetz beobachtet.
Seit 2018 wird keiner der Gletscher am Titlis vom Schweizerischen Gletschermessnetz beobachtet. Screenshot: www.map.geo.admin.ch

Während das Gletschermessnetz die Daten des Firnalpeligletschers nur bis 1925 erhob, wurde der Firnalpelifirn bis 2018 weiterbeobachtet. «Jeden Herbst untersuchte ein Team die Veränderungen an der Zunge des Firnalpelifirns», sagt Andreas Bauder. Die Daten zeigen den starken Rückgang des Gletschers klar: Fast 300 Meter an Gesamtlänge und somit rund ein Viertel hat der Firnalpelifirn in der Zeit zwischen 1894 und 2018 verloren.

Mittlerweile sei der Zugang zu der Gletscherzunge gefährlicher geworden, sodass der Gletscher nicht mehr jährlich beobachtet wird. Die Daten seien mehr oder weniger auch auf den Titlisgletscher übertragbar, sagt Bauder weiter. «Je nach Ausdehnung und Neigung reagieren die Gletscher aber anders auf Wetter und Klima.»

Experte erwartet Rekordschmelze

Gesamtschweizerisch erwartet der Glaziologe, dass die Gletscher diesen Sommer überdurchschnittlich viel Eismasse verlieren.

«Die Gletscher sind jetzt schon auf dem Niveau, wie in anderen Jahren zwei bis drei Monate später.»

Dabei spielen nicht nur die aktuell warmen Temperaturen, sondern auch der unterdurchschnittliche Schneefall im Winter eine Rolle. «Das blanke Eis kommt so an mehreren Stellen zum Vorschein, und ist direkt der Sonne ausgesetzt», so Bauder.

Sommer, an denen die Temperaturen nach oben ausreissen, seien nichts aussergewöhnliches, sagt Bauder. Die Temperaturen im Sommer 2003 seien im Durchschnitt sogar höher gewesen als jetzt. Damals sei im Winter aber mehr Schnee gefallen, weshalb Bauder erwartet, dass die Rekordschmelze von damals dieses Jahr übertroffen werden könnte.

Ist es möglich, dass geschmolzene Gletscher wieder wachsen? «Theoretisch ja», meint Bauder. Dafür dürfte aber der Schnee, der im Winter fällt, den Sommer über nicht schmelzen. «Wenn dies mehrere Jahre hintereinander geschieht, wird der Schnee zu dem massiven Eis – also zu einem Gletscher – zusammengepresst», erklärt Bauder. Mit Blick auf die steigenden Temperaturen sei dies aber wohl eher unwahrscheinlich. Zudem würde es mehr als eine Generation dauern, bis sich eine Veränderung des Klimas positiv auf die Gletscher niederschlägt.

Massnahmen der Bergbahnen helfen nur punktuell

Bei den Titlis Bergbahnen macht man sich nichts vor: «Wir gehen davon aus, dass der Gletscher in den nächsten ungefähr 20 Jahren verschwindet», sagt Marketingleiter Urs Egli auf Anfrage. Punktuell könne man den Gletscher mit Vliesabdeckungen zwar konservieren. Die Massnahme wirkt so, wie man sich das vorgestellt hätte:

«Dort, wo der Gletscher vor zweieinhalb Monaten mit Vlies abgedeckt wurde, ist der Schneestand zwei Meter höher, als neben den Abdeckungen.»

Das Vlies schützt den Gletscher an wichtigen Stellen, kann aber den Gesamtschwund nicht aufhalten.
Das Vlies schützt den Gletscher an wichtigen Stellen, kann aber den Gesamtschwund nicht aufhalten. Bild: PD

Die Schutzmassnahmen werden an Orten eingesetzt, wo der Gletscher besonders wichtig ist:

«An einigen Stellen braucht es den Gletscher zum Beispiel, damit die Piste im Winter gerade präpariert werden kann.»

Der gesamte Gletscherschwund lasse sich so jedoch nicht aufhalten.

Noch nicht gefährdet sei momentan die Gletschergrotte sowie die Infrastruktur auf dem Titlis. So müssen etwa Sesselliftmasten nicht neu verankert werden. Einen grösseren Aufwand wird man zu Beginn der Wintersaison haben. «Wir müssen die Gletscherspalten auffüllen, die immer mehr werden», sagt Urs Egli.

Zudem brauche man mehr Schnee, um die Stellen zu decken, an denen der Felsen zum Vorschein kommt. Geplant sei trotzdem, am 1. Oktober in die Wintersaison starten zu können. «Wie jedes Jahr hängt der Saisonstart vom natürlichen Schneefall ab», so Egli.

Urs Egli, Leiter Marketing und Mitglied der Geschäftsleitung bei den Titlis Bergbahnen.
Urs Egli, Leiter Marketing und Mitglied der Geschäftsleitung bei den Titlis Bergbahnen. Bild: PD

Skisaison wird früher beendet

Was aber bereits klar ist: Die Titlis Bergbahnen werden die Wintersaison früher beenden, damit früher mit dem Vliesen begonnen werden kann. Die Wintersaison dauere dabei aber immer noch rund 200 Tage – «die längste Skisaison des Alpenraums», betont Egli.

Man muss sich bei den Titlis Bergbahnen drauf einstellen, mittelfristig keinen Gletscher mehr als Touristenmagnet zu haben. Was bedeutet das für die Bergbahnen? Urs Egli:

«Wir werden zum höchstgelegenen Ski- und Ausflugsberg der Zentralschweiz – aber ohne Gletscher.»

Vorbereitungen auf die Zeit nach dem Gletscher laufen

Um für Touristen weiterhin attraktiv zu sein, muss also ein anderer Mehrwert geschaffen werden. Dabei helfen sollen unter anderem die beiden Stararchitekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron, die für das Projekt «Titlis 3020» beauftragt wurden. Mit dem 100-Millionen-Projekt, das aus den Elementen Bergstation, Turm und Linie II besteht, soll auch in Zukunft ein einzigartiges Gipfelerlebnis auf dem Titlis sichergestellt werden.

Der aufgewertete Richtstrahlturm soll das Herzstück des Projekts «Titlis 3020» werden.
Der aufgewertete Richtstrahlturm soll das Herzstück des Projekts «Titlis 3020» werden. Visualisierung: PD

Für Urs Egli ist klar: «Der Gletscher ist nur eine Komponente unseres Produktes.» Und auch hinsichtlich des Skibetriebs ist er zuversichtlich: «Schnee werden wir im Winter noch lange haben.»

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